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Mildes kontemplatives Leuchten

OVB vom 05.04.2017:

Bachs „Johannespassion“ ist die dramatischere, seine „Matthäuspassion“ die kontemplativere.

Trotzdem schien bei der „Johannespassion“ des Rosenheimer Musikvereins im beileibe nicht vollen Kultur- und Kongresszentrum die Kontemplativität gleichsam von der Schwesterpassion herüberzuscheinen. In plastischen Bildern, so schreibt Anette Kopf im Programmheft, erzählt die „Johannespassion“ von Verrat, Verhör, Folter und Sterben. Doch Thomas J. Mandl wählte gleich im aufgeregt wühlenden Anfangschor einen eher weich-flüssigen Orchesterklang mit einem Sfumato-Klang bei den Streichern ohne die auch möglichen Peitschen- oder Nagelschläge in den Bläsern, die „Herr“-Rufe des Chors klangen nicht auf- oder anschreiend, sondern demütig-bittend. Über allem lag ein mildes, eben kontemplatives Leuchten. Mandl sorgte auch für ein immerwährendes Fließen der Musik und damit auch des Passionsgeschehens.

Der Chor des Musikvereins Rosenheim war verstärkt durch den Michael-Haydn-Chor Lamprechtshausen (Leitung: Leo Ederer), was aber die Zahl der Männerstimmen nicht sehr vergrößerte. Dennoch schlug sich der Tenor wacker, war durchaus durch-, wenn auch nicht unbedingt heraushörbar, wenn er chromatisch heulen muss. Die Bässe klangen eher weich als markig. Dafür erfreute der schlanke und frische Klang der Soprane.

Die Turba-Chöre waren oft nur verhalten pöbelhaft oder massenpsychologisch erhitzt, aber ab dem „Barrabam“-Ruf luden sie sich mit fiebriger Energie auf. Der „Kreuzige!“-Chor war vor allem rhythmisch präzise, den hinterhältigen Satz „Wir haben ein Gesetz“ schleuderten die Chorsänger, weil sie das Wort „Gesetz“ kurz abphrasierten, gleichsam Pilatus entgegen, der Chor der Soldaten, die um Christi Rock würfeln, gelang flott.

Fein ausgearbeitet hatte Mandl die Choräle: Jeder hatte seine eigene Aussage, seine eigene Charakteristik, ob gläubig-demütig und sündenbewusst, schlicht innig oder dezidiert glaubensfest. Der Schlusschor („Ruht wohl“) war nachsinnend, der Schlusschoral begann als Gebet und steigerte sich ins Glaubenssicher-Triumphale.

Gut einstudiert und klar artikulierend präsentierte sich das Orchester des Musikvereins. Ein paar Proben mehr hätte die Continuo-Gruppe gebraucht, so manche Anschlüsse wackelten und alle waren sich nicht immer ganz einig.

In der „Verquickung von Erzählung, Meditation und Interpretation“ – so wieder das Programmheft – haben beziehungsweise hätten die Solisten ein gewichtiges Wort mitzureden. Die Altistin Sonja Bühling bestach vornehmlich durch klare Linienführung, wobei sie durch die Oboen in ihrer „Sünden-Stricken“-Arie gut unterstützt wurde. Als dramatisch agierender Pilatus interpretierte Martin Burgmair den Notentext durchaus individualistisch, seine Bass-Arien waren etwas substanzlos. Alexander Kiechle mangelte es als Christus an majestätischer Spiritualität.

Diana Fischer mit strahlendem Sopran

Dafür erfreute Diana Fischer mit einem freudig strahlenden und glockenhellen Sopran, den sie in der ersten Arie („Ich folge dir“) sehr beweglich führte, schön umspielt von der Organistin Elke Michel-Blagrave, und den sie eben nicht haltlos zerfließen ließ in ihrer „Zerfließe“-Arie: Das Wort „tot“ belebte sie mit einem schluchzenden Triller. In dieser so helllichten Arie wurden die so schön spielenden Flöten dominiert von der sich vordrängenden Oboe.

Das Hauptwort aber hat der Tenor, sowohl als erzählender Evangelist als auch als mitleidender Betrachter. Dass Dávid Szigetvári an diesem Abend leicht angeschlagen war, passte wundersamerweise ins Gesamtkonzept: Damit seine Stimme durchhielt, sang er mit einer aufmerksamen Behutsamkeit, die seinem eh schon innig leuchtenden Tenor eine Aura der Kostbarkeit verlieh. Er suchte – und fand – auch in den eher sprechenden Rezitativen eine ariose Schönheit und erlebte das von ihm erzählte Passionsgeschehen, war erstaunt oder empört und belebte seinen Gesang durch dezente Gestik. Vor allem gestaltete er überzeugend.

Mit ihm konnte man durchaus der These von John Eliot Gardiner folgen, der in seiner jüngst erschienenen großen Bach-Monografie als Dreh- und Angelpunkt der „Johannespassion“ die „Erwäge“-Arie des Tenors ansieht. Mit deutlicher Reflexion und Stimmschönheit machte Szigetvári die Analogie von dem blutgefärbten Rücken zum Himmel und schließlich „allerschönsten Regenbogen“ klar, wo er gerade die vielen Melismen klanglich klar ausmalte.

Dazu passte dann auch der warme Ton der Viola d’amore von Marija Hackl: ein kontemplativer Höhepunkt dieser insgesamt kontemplativen „Johannespassion“.